Wird die Gemeinschaftsverpflegung zum Motor der Ernährungswende?
Kantine mit Zukunft
26.11.2025
Ob in Mensen, Kantinen oder Pflegeeinrichtungen – hier zeigt sich, wie eng Ernährung, Klima und Gesellschaft verknüpft sind. Die Gemeinschaftsverpflegung erreicht täglich Millionen und wird so zum Prüfstein, wie nachhaltiges Essen gelingen kann.
Laut DEHOGA (Deutscher Hotel- und Gaststättenverband) besuchen aktuell in Deutschland pro Jahr und Werktag circa 17 Millionen Menschen Einrichtungen der professionellen Gemeinschaftsgastronomie. Gleich mehrere Faktoren stimulieren das Wachstum dieses Branchensegments, das mittlerweile zu einem der größten Bereiche des Gastgewerbes in Deutschland zählt: Mehr Single-Haushalte und Frauen im Beruf, aufgelöste klassische Mahlzeitenstrukturen, individuellere Ernährungsgewohnheiten, größere Entfernungen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz sowie zunehmende Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen.
Das Fachmagazin „gv-praxis“ unterteilt die Gemeinschaftsverpflegung in drei Säulen, deren Marktvolumen insgesamt rund 17 Milliarden Euro beträgt:
Business
Rund 8.000 Betriebsrestaurants mit einem Umsatz von 11,4 Milliarden Euro
Spitzenreiter in Eigenregie:
- Volkswagen: 51,1 Mio. Euro Umsatz (2023)
- BMW: 40,6 Mio. Euro
- Daimler: 27,2 Mio. Euro
Care
11.680 Pflegeheime, 1.900 Krankenhäuser und über 1.000 Reha-Einrichtungen
Gesamtumsatz: 3,5 Milliarden Euro
Education
19.000 Ganztagsschulen, 57.000 Kitas und Kindergärten sowie rund 900 Mensen und Cafeterien der Studentenwerke
Gesamtumsatz: 2,1 Milliarden Euro
Treffpunkt und Trendsetter
Die Gemeinschaftsgastronomie ist heute weitaus mehr als ein klassischer Verpfleger größerer Personengruppen. Kantinen und Mensen dienen als gesellschaftliche Treffpunkte und erfüllen soziale Zwecke: Sie fördern das Miteinander der Kollegen, erhalten deren Leistungsfähigkeit und bieten Arbeits- und Ausbildungsplätze.
„Die Gemeinschaftsgastronomie trägt eine enorme Verantwortung und leistet einen großen Beitrag zu Gesundheit, Wohlbefinden und sozialer Teilhabe. Essen in Gemeinschaft stiftet Beziehungen, fördert Austausch und stärkt Bindungen.“
Einer Umfrage von Foodji unter 1.000 Kunden zufolge machen Versorgungsangebote den Arbeitsplatz attraktiver und schaffen Anreize, wieder ins Büro zurückzukehren statt im Homeoffice zu verbleiben.
Weiter auf Platz eins: Nach einer Auswertung der meistverkauften Mittagsgerichte durch Apetito führt Spaghetti Bolognese mit Rinderhack erneut die Beliebtheitsskala an. Foto: Apetito
Weil sie viele Menschen erreichen, gelten Mensen und Kantinen als Trendsetter bei den Themen Nachhaltigkeit, Ernährungswende sowie Ernährungsbildung und arbeiten an der Umsetzung der im Januar 2024 vom damaligen Kabinett verabschiedeten „Ernährungsstrategie der Bundesregierung“. Diese fordert eine Gemeinschaftsverpflegung mit gesunder und nachhaltiger Ernährung, bei der aus Gründen des Klimaschutzes vorwiegend pflanzliche, saisonale und möglichst regionale sowie ökologisch erzeugte Lebensmittel zum Einsatz kommen. Der Speiseplan einer klimagesunden Ernährung enthält hauptsächlich Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte oder Nüsse. Tierische Produkte wie Fleisch, Milch und Käse sind zwar Teil dieser Ernährungsweise, aber in deutlich reduzierter Menge. Die Betreiber von Kantinen und Mensen bemühen sich zwar nach Kräften, den gesellschaftlichen Auftrag zu mehr Nachhaltigkeit umzusetzen, stoßen aber aufgrund begrenzter Budgets, Fachkräftemangel und starrer rechtlicher Regeln oft an ihre Grenzen.
Klimaschutz und Kantinenangebot
Laut einer Studie der internationalen Data and Analytics Group YouGov Deutschland im Auftrag des Dienstleisters Sodexo begrüßten 63 Prozent von insgesamt 1.000 befragten Arbeitnehmern, wenn in Betriebsrestaurants aus Gründen von Nachhaltigkeit und Klimaschutz weniger Fleisch angeboten würde. Die Realität sieht jedoch anders aus: Auch wenn die Nachfrage nach vegetarischen Gerichten anzieht, bleibt beispielsweise bei Daimler Truck in Wörth der „Big Benz Burger“ ein Verkaufsschlager vor Geflügel-Gyros. Bei der Pumpenfirma KSB in Frankenthal gehören Schnitzel mit Pommes und Salat, Brat- und Currywurst zu den Favoriten.
Auch nach einer Auswertung der meistverkauften Mittagsgerichte durch Deutschlands größten Kantinenbetreiber und Fertiggerichtehersteller Apetito landete Spaghetti Bolognese mit Rinderhack erneut auf dem ersten Platz vor dem Reisgericht Chicken Korma und dem Nudelgericht Bami Goreng.
Fleischlastig: Trotz Ernährungsstrategie der Bundesregierung und DGE-Qualitätsstandards bevorzugen Tischgäste in Kantinen Gerichte mit Rind-, Hähnchen- oder Schweinefleisch. Bild: Apetito
Fleischlastig: Trotz Ernährungsstrategie der Bundesregierung und DGE-Qualitätsstandards bevorzugen Tischgäste in Kantinen Gerichte mit Rind-, Hähnchen- oder Schweinefleisch. Bild: Apetito
Keine signifikante Veränderung bei der Nachfrage registriert auch Manuel Glockenmeier, Bereichsleiter bei accente Catering & Hospitality: „Die Nachfrage nach vegetarischen und veganen Angeboten nimmt subjektiv wahrnehmbar zu. Immer häufiger werden wir auf dieses Sortiment angesprochen. Unsere Verkaufszahlen spiegeln diesen Trend allerdings nicht wider. Nach wie vor gehören Klassiker wie Cheese-Burger, Gyros, Schnitzel oder Spaghetti Bolognese zu den meistverkauften Gerichten. Deutlich spürbar ist jedoch ein gestiegenes Bewusstsein unserer Gäste für die Herkunft und Qualität der Lebensmittel. Themen wie Nachhaltigkeit und regionale Produkte stehen dabei klar im Vordergrund.“
„Der Anteil vegetarischer und veganer Speisen liegt seit rund fünf Jahren konstant bei etwa 30 Prozent.“
Die Currywurst ist laut Apetito-Chef Dr. Jan-Peer Laabs im Gegensatz zu internationalen und vegetarischen Optionen auf dem absteigenden Ast, bleibe aber auch künftig fester Bestandteil im Kantinenangebot: „Internationale oder vegetarische Gerichte werden immer besser angenommen, da haben es deutsche Klassiker wie die Currywurst immer schwerer“, so Laabs.
„Wir erklären uns den Abstieg der Currywurst mit dem Trend zu einer bewussteren und gesünderen Ernährung.“
Fleischfreie Alternativen, so die Apetito-Auswertung, werden von Kindern und Jugendlichen sehr viel eher akzeptiert als von älteren Menschen. In Senioreneinrichtungen bleiben traditionelle Gerichte mit Fleisch auf der Beliebtheitsskala ganz vorn.
Für die Campusgastronomie fordern Studierende noch striktere Schritte für einen konsequenten Klimaschutz und mehr Pflanzenkost. Dort macht sich die Kampagne „Plant-Based Universities“ für eine 100 Prozent nachhaltige pflanzliche Verpflegung stark, um die Klima- und Naturkrise zu bekämpfen. Die internationale Studierendeninitiative wurde Ende 2021 im Vereinigten Königreich ins Leben gerufen und ist heute an mehr als 70 europäischen Universitäten aktiv. In Deutschland stimmten bereits drei Studierendenvertretungen einer vollständigen Umstellung auf pflanzliche Verpflegung zu, im Juli 2025 der Studierendenbeirat der Universität Heidelberg.
Automaten gegen Arbeitskräftemangel
Kantinenersatz: Essensautomaten wie beispielsweise von Foodji versprechen Qualität und Frische, eine bedarfsorientierte Versorgung mit geringerer Lebensmittelverschwendung und weniger Müll durch Mehrwegverpackungen. Foto: Foodji
Neben Klimakrise und gestiegenen Kosten ist der Fachkräftemangel eine der großen Herausforderungen in der Gestaltung der Gemeinschaftsverpflegung. Digitale Tools wie Vorbestell-Apps oder eine KI-gestützte Menüplanung erhöhen die Effizienz, senken Kosten und optimieren Prozesse. Auf dem Vormarsch sind auch ortsunabhängige, personalautarke und rund um die Uhr verfügbare Essensautomaten. Sie können in mittelständischen Betrieben oder solchen mit Schichtdienst stationäre Kantinen ersetzen. Die Unternehmen Eurekantine oder Foodji beispielsweise versprechen die gleiche Qualität und Frische wie bei vor Ort gekochten Mahlzeiten, eine bedarfsorientierte Versorgung mit geringerer Lebensmittelverschwendung und weniger Müll durch Mehrwegverpackungen.
Die Angebote umfassen bis zu 300 Haupt- und Frühstücksgerichte – von der Hausmannskost über italienische und asiatische Speisen bis zu vegetarischen und veganen Alternativen. Die Automatennutzer können täglich aus einer bestimmten Anzahl von Menüs auswählen und über ihren persönlichen Account online am Desktop oder per App kaufen. Das jeden Tag in eigenen Manufakturen frisch zubereitete Essen wird kalt in die Smart-Vending-Machines geliefert und dort vom Besteller abgeholt. Am QR-Code erkennt das Gerät, wie viel Zeit benötigt wird, um die Gerichte perfekt zu finishen. Das Mehrweggeschirr wird anschließend am smarten Rücknahmeautomat abgegeben.
Ein kurzer Ausflug in die Geschichte der Gemeinschaftsverpflegung
Die Gemeinschaftsverpflegung ist eine wachstumsstarke Dienstleistungsbranche und mitnichten eine Erfindung der Neuzeit. Vielmehr hat sie eine lange Tradition: Schon bei den Olympischen Spielen in der Antike, griechischen Theateraufführungen oder dem Bau von Pyramiden und Tempeln mussten Tausende Sportler, Zuschauer oder Arbeiter verköstigt werden. Im Mittelalter reichten Klöster vorbeiziehenden Pilgern zunächst karge, später üppigere und abwechslungsreichere Mahlzeiten. Im 14. und 15. Jahrhundert, der Gründungszeit deutscher Universitäten, versorgten Konvikte, Kollegienhäuser und Bursen als Vorgänger der heutigen Studentenwerke ihre oft mittellosen Gäste. Ab 1800 gaben öffentliche Speiseanstalten sogenannte Armensuppen an Bedürftige aus, und im Zuge der Industrialisierung stellten Fabriken Speiseräume bereit, in denen die Arbeiter ihr im Henkelmann mitgebrachtes Essen erwärmten. Als Vorreiter richteten die Chemiefabrik Hoechst bei Frankfurt, Krupp in Essen, die BASF in Ludwigshafen und Siemens in Berlin die ersten Werkskantinen ein. Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg war deren Zahl auf 17.500 gewachsen.
Das deutsche Wirtschaftswunder verhalf der Gemeinschaftsverpflegung im Westen der Republik zu einer eindrucksvollen Dynamik. Wahlgerichte lösten Einheitsessen ab, Free-Flow-Ausgaben verhinderten das Schlangestehen an den Ausgabestellen. Seit Anfang der Neunzigerjahre verpflegen in Eigenregie geführte Betriebskantinen, private Pächter, eigenständige GmbHs sowie regional und national tätige Caterer große, kleine, junge und alte Tischgäste mit attraktiven Mahlzeiten zu erschwinglichen Preisen.
Monika Mathes
Fachjournalistin
Berichtet für Foodtech Now! über Wachstumsmärkte der Fleisch- und Proteinwirtschaft.