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Vergleich von tierischem Hackfleisch und pflanzlichen Sojaprotein-Kügelchen als Alternative in der nachhaltigen Ernährung.

Versöhnung auf dem Teller: Tierprodukte und ihre Alternativen

02.10.2025

Flexitarier und Omnivore wünschen Vielfalt. „Reduce, Remix, Replace“ zeigt Wege zu nachhaltiger Ernährung. Die Studie „The V-Place“ belegt, Wahlfreiheit schafft Marktchancen.

Lesedauer: 4 Minuten

Flexitarier und Omnivore wünschen sich genussvolle und alltagstaugliche Angebote – sowohl mit Fleisch als auch mit pflanzlichen Alternativen. Wissenschaftler empfehlen beide Optionen gleichberechtigt „am gemeinsamen Tisch“ zu servieren. Ein versöhnlicher Ansatz eröffnet nicht nur breite Akzeptanz, sondern auch neue Marktchancen. Die europaweite Verbraucher-Studie „The V-Place“ zeigt, dass insbesondere die große Mitte der Gesellschaft davon profitiert.

Fleisch oder Pflanzenburger? Milch oder Haferdrink?

Die Debatte um Ernährung ist oft polarisiert: Fleischliebhaber stehen Vegetariern und Veganern gegenüber. Streitpunkte reichen von Gesundheitsfragen über Mangelernährung bis hin zu möglicherweise irreführenden Bezeichnungen pflanzlicher Produkte.

Hier setzt das Gutachten „Mehr Auswahl am gemeinsamen Tisch“ des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) an: Es empfiehlt, Vielfalt zuzulassen, statt tierische Produkte zu verdrängen. Ziel ist eine Balance zwischen tierischen Produkten und pflanzlichen Alternativen – durch bewusste Reduktion, hybride Produkte oder Ersatz. Zusammengefasst in der „3-R-Strategie“: Reduce, Remix, Replace. Damit können alle Ernährungsstile Verantwortung für Gesundheit und Umwelt teilen.

Auch das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat unterstützt diesen Ansatz. Minister Alois Rainer formulierte es bei der Vorstellung des Gutachtens 2025 prägnant: „Das eine nicht gegen das andere ausspielen.“

Infografik zeigt zentrale Produktfaktoren wie Zutaten, Produktion, Verpackung und Kommunikation mit Aspekten wie Nachhaltigkeit, Gesundheit und Transparenz.
Abb. 1: Der Entscheidungsrahmen für pflanzenbasierte Produkte, eigene Darstellung in Anlehnung an: Quelle: The V-Place

Abb. 1: Der Entscheidungsrahmen für pflanzenbasierte Produkte, eigene Darstellung in Anlehnung an: Quelle: The V-Place

Ein Blick auf den europäischen Esstisch

Ob ein solches Miteinander gelingt, hängt maßgeblich von den Verbrauchern ab. Die Studie „The V-Place“ (Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, Dänemark) zeigt: Nicht die Extreme prägen den Markt, sondern die breite Mitte. Etwa 16% der Befragten sind Flexitarier. Sie verzichten gelegentlich auf Fleisch oder Tierprodukte, ohne sich strikt vegetarisch oder vegan zu ernähren. 77% sind klassische Omnivore, die „alles essen“, aber offen sind für Alternativen vorausgesetzt, sie schmecken und passen in den Alltag. 62% der Flexitarier wollen ihren Fleischkonsum künftig deutlich reduzieren, 25% weniger Milchprodukte kaufen. Rund 4.800 Konsumenten und 70 Branchenexperten wurden befragt. 

Moderate Reduktionen in der breiten Mitte entfalten größere Wirkung auf Umwelt und Gesundheit als das Wachstum kleinerer Gruppen. Deutschland ist Vorreiter: Hier ist der Flexitarier-Anteil am höchsten und der Markt für pflanzenbasierte Produkte am weitesten entwickelt.

Balkendiagramm zu pflanzenbasierten Ernährungstypen in Europa 2024 – Flexitarier sind in Deutschland die größte Gruppe.
Abb. 2: Mittelwege lieben Flexitarier, in Deutschland sind sie die größte Gruppe einer pflanzenbasierten Ernährung Quelle: The V-Place

Abb. 2: Mittelwege lieben Flexitarier, in Deutschland sind sie die größte Gruppe einer pflanzenbasierten Ernährung Quelle: The V-Place

Was die Mehrheit wünscht

Mehr als die Hälfte der Befragten hat bereits Fleisch- oder Milchersatzprodukte probiert. Für die breite Akzeptanz zählen vor allem drei Faktoren:

  • Gesundheit: 79% erwarten von Fleischersatz, bzw. 80% bei Milchersatz positive Effekte.
  • Geschmack: 77% (Fleischersatz) und 74% (Milchersatz) halten guten Geschmack für unverzichtbar.
  • Wohlbefinden: Rund 75% möchten mit pflanzlichen Produkten einen Beitrag zu mehr Wohlbefinden erleben.

Darüber hinaus spielen Preis, Verfügbarkeit, Vielfalt und Transparenz eine zentrale Rolle. Verbraucher wollen nachvollziehen, woher die Produkte stammen, wie sie hergestellt werden und welchen Mehrwert sie bieten. In Deutschland und Italien ist Tierwohl ein starkes Kaufmotiv. Wachstumspotenzial liegt in eigenständigen Angeboten, von Burger-Patties über Käsealternativen bis zu Eiscremes aus neuen Proteinquellen.

Pflanzenbetont auf dem Vormarsch – mit Hürden

Koch bereitet Mahlzeit mit frischen Zutaten wie Gemüse, Fleisch, Milchprodukten und Hülsenfrüchten in einer Profiküche zu.
Abb. 3: Die Zukunft einer nachhaltigen Ernährung liegt in den Kantinen - und den hybriden Rezepturen Quelle: Gebhardt (KI-generiert mit Canva)

Die Akzeptanz wächst besonders in Deutschland und Dänemark; in Italien und Polen sind traditionelle Ernährungsweisen stärker verankert. Verbraucher erwarten Orientierung statt ideologischer Grabenkämpfe. Erfolgsfaktoren: klare Kennzeichnungen, faire Marktbedingungen, Bildungsangebote und zielgruppengerechter Dialog.

Der WBAE empfiehlt: Politik soll Möglichkeitsräume schaffen, nicht über Verbote lenken. Verbraucher sollen frei entscheiden können – Steak, Linsenbolognese oder Hybridprodukt. Besonders in Schulen, Mensen und Kantinen kann eine stärker pflanzenbasierte Ernährung Treibhausgasemissionen senken. Für pflanzliche Ersatzprodukte wünschen Konsumenten jedoch fundierte Informationen und nachvollziehbare Orientierung.

Vielfalt statt Verzicht

Mittelwege stehen für Wahlfreiheit, nicht Beliebigkeit. Szenarien des WBAE-Gutachtens zeigen, dass pflanzliche Alternativen bis 2045 bis zu 50% des Rückgangs tierischer Lebensmittel abfedern könnten – heute liegt der Anteil bei 10%. Die Zukunft liegt in einer neuen, versöhnlichen Vielfalt. Oder wie eine dänische Teilnehmerin formulierte: „Ich esse Fleisch. Ich liebe Tofu. Und ich will mich nicht entscheiden müssen.“

Infobox „Plant-based“ und vegan

„Pflanzenbasiert“ oder auf neudeutsch „plant-based“ meint alle Lebensmittel, die rein pflanzlich sind und in Textur, Geschmack oder Aussehen tierischen Lebensmitteln ähneln oder diese ersetzen sollen. Für die Europäische Vereinigung für Plant-based Foods (www.ensa-eu.org) können pflanzenbasierte Lebensmittel zu den gleichen Zeiten und auf dieselbe Weise wie Fleisch und Milchprodukte konsumiert werden. Aus Verbrauchersicht ist pflanzenbasiert mehr als ein Imitat des tierischen Originals oder ein Fertiggericht. Sie verstehen darunter ebenso eigenständige pflanzenbasierte Lebensmittel, die sie zuhause selbst zubereiten können, sowie Obst und Gemüse („plant food“). „Plant-based“ ist für sie eine akzeptierte neutralere Begriffsvariante für den eher negativ konnotierten Begriff „vegan“. „Vegan“ wird von Verbrauchern oftmals mit hoch verarbeiteten Lebensmitteln, Verzicht oder Ideologisierung, aber auch Bequemlichkeit verbunden. Was vegane und auch vegetarische Lebensmittel sind, wird in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs beschrieben. Kennzeichnungen, die auf nachvollziehbaren Standards beruhen, wie das V-Label oder die Veganblume, können Interessierten grundlegend Orientierung geben. Eine entsprechende Kennzeichnung für „pflanzenbasiert“ fehlt.

Dr. Beate Gebhardt

Dr. Beate Gebhardt

Autorin und Forschungsberaterin

Dr. Beate Gebhardt ist Autorin und Forschungsberaterin, die in der Foodtech.Now!-Redaktion Wissenschaft auf den Punkt und Nachhaltigkeit in die Praxis bringt.

Titelbild: Reformulierte Rezepte in Hybridprodukten bestehen aus tierischen und pflanzlichen Zutaten Quelle: Gebhardt (KI-generiert mit Canva)

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