Intuitive Bedienbarkeit bringt mehr Menschen in Arbeit
15.10.2025
Modern ausgestattete Maschinen mit intuitiver Bedienbarkeit entlasten in hoch entwickelten Industrien die selten gewordenen Fachkräfte und sorgen in den weniger entwickelten Ländern für einen Industrialisierungsschub. Interview mit Beatrix Fraese, stellvertretende Geschäftsführerin des Fachverbandes Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen im VDMA.
Beatrix Fraese, stellvertretende Geschäftsführerin des Fachverbandes Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen im VDMA. Foto: Uwe Nölke
Sprechen die Digitalisierung, Automatisierung und Bedienbarkeit von Maschinen eine „internationale Sprache“ oder gibt es dabei unterschiedliche Anforderungen?
Die internationale Sprache der Maschine erklärt sich schon durch ihren weltweiten Einsatz: Die Mitgliedsunternehmen des VDMA Fachverbandes Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen haben eine Exportquote von durchschnittlich 84 Prozent und liefern ihre Maschinen in über 100 Länder weltweit. Wir haben nicht die Möglichkeit, für jedes Land verschiedene Bedienpanels anzubieten. Doch mit dem Einzug von Digitalisierung und Touchscreens entstanden farbcodierte Bedienelemente, die auch nonverbal funktionieren: Grün, Rot – diverse farbliche Signale als auch Symbole wie Smileys, also Bedienhilfen, die intuitiv und international sind. Das wird von Bedienelementen und -anleitungen flankiert, die an die jeweilige Landessprache angepasst werden können.
Gruppe von Arbeitern, die in einer Fabrik der Schweinefleischindustrie arbeiten. Foto: hxdbzxy
Die weltweite Lebensmittel- und Getränkewirtschaft ist eine der personalintensivsten Industrien. Einen hohen Anteil am Produktionsvolumen hat der Verpackungsprozess, der in vielen Schwellenländern noch von Hand erfolgt. Sind in diesen Regionen Digitalisierung, Automatisierung und intuitive Bedienbarkeit besonders gefragt?
Dies hängt vom Reifegrad der jeweiligen Industrie ab. Wir haben Lebensmittelindustrien mit einer sehr starken, noch manuellen Komponente, also mit vielen Menschen im Verarbeitungs- und Verpackungsprozess. Das hat unter anderem mit dem jeweiligen Lohnniveau zu tun: Erst bei steigenden Lohnkosten beginnen sich Automatisierungsprozesse zu rechnen.
Außerdem ist der Automatisierungsgrad produktabhängig: Wie sensibel sind die Produkte? Geht es um Babynahrung, Milchprodukte oder Fleisch? Wie viele Gefahrenquellen gibt es, wie hoch ist das Risiko einer Verunreinigung? Durch das Auslesen von Prozessdaten werden zudem Anomalien im Produktionsprozess erkannt oder Verbesserungspotenziale identifiziert – auch das ist durch die Digitalisierung ermöglicht worden.
Lebensmittelsicherheit, Automatisierung, Standardisierung für die Märkte, das scheint alles sehr eng miteinander verbunden zu sein.
Zuallererst hängen die Themen Lebensmittelsicherheit und Automatisierung eng zusammen – und das ist dann zusätzlich produktabhängig: Was will ich mit meinen Produkten machen? Produziere ich Lebensmittel für den lokalen Markt oder den Export? Für den Export müssen internationale Standards erfüllt werden – in der EU erst recht.
Je größer und professioneller Unternehmen werden, desto mehr investieren sie in die Automatisierung und Maschinen mit komplexerer Bedienung. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie am Weltmarkt partizipieren wollen oder nach einheitlichen Standards eine besondere Ausstoßmenge benötigen. Wenn die lokalen Anbieter zum Beispiel in puncto Lebensmittelsicherheit und Qualität gegenüber multinationalen Konzernen wettbewerbsfähig sein wollen, müssen sie in Technik investieren. Das ist der Weg, auf dem die Technisierung der Lebensmittel- und Getränkeproduktion die Wertschöpfung erhöhen kann, wodurch sich der Markt in Stufen weiterentwickelt.
Die Maschinenbedienung wird durch Symbole, Piktogramme und Farben stark vereinfacht, um ungelernte Kräfte einsetzen zu können. Foto: Pietro Sutera
Kann man sagen, dass die Technologie dazu beiträgt, unterschiedliche Bedingungen auszugleichen?
Es gibt viele agrarisch geprägte, rohstoffreiche Länder, die entweder Rohstoffe exportieren oder durch Wertschöpfung stärker am Weltmarkt partizipieren können. Es ist ein Unterschied, ob ich Rohkakao oder verarbeitete Kakaomasse verkaufe – und was bedeutet das für die Bedienenden an der Maschine, die den Kakao verarbeitet?
In der Lebensmittelindustrie arbeiten viele ungelernte Kräfte an den Maschinen. Deshalb wurde die Bedienung stark vereinfacht: Man setzt auf Touchscreens, Symbole, Piktogramme und Farben, zum Beispiel für verschiedene Schläuche. So erkennt der Bedienende sofort, was Zu- und was Abfluss ist, ohne lange nachlesen zu müssen. Der Bedienung geht ein Training voraus – entweder durch Menschen im Betrieb, die damit schon Erfahrung haben, oder durch von den Maschinenherstellern (digital) angebotene Schulungen.
“Durch vereinfachte Bedienung entstehen Arbeitsplätze für Menschen mit geringer oder ohne Ausbildung. Menschen erhalten dadurch die Chance, am Arbeitsleben teilzuhaben.”
Welche Wirkung kann die intuitive Bedienbarkeit von Maschinen auf die spezifischen Bedingungen bei den Fleischwarenherstellern haben?
In der Fleischindustrie oder auf großen Schlachthöfen wird häufig mit Subunternehmern gearbeitet. Die Arbeiter kommen beispielsweise aus Osteuropa und haben in vielen Fällen keinen Abschluss – es sind ungelernte Arbeitskräfte, die dann mit Tools konfrontiert sind, die sie gut bedienen können, weil viele Displays inzwischen Mobiltelefonen ähneln, die ihnen vertraut sind.
So entstehen Arbeitsplätze auch für Menschen mit geringer oder ohne Ausbildung. Menschen erhalten dadurch die Chance, am Arbeitsleben teilzuhaben. Automatisierung und eine vereinfachte Bedienung bedeuten am Ende immer schneller, besser, effizienter, sicherer und vernetzter zu arbeiten. Um Menschen flächendeckend mit Lebensmitteln zu versorgen, ist eine industrielle und sichere Produktion unerlässlich. Daran ist nichts Schlechtes – es ist eine Notwendigkeit. Manche sollten sich nur von der romantischen Vorstellung verabschieden, dass der Joghurt, den wir im Kühlregal in zig Geschmacksvarianten vorfinden, noch von Hand gerührt wird.
Intuitive Bedienoberflächen führen mit klaren Symbolen, visuellen Hinweisen und Schritt-für-Schritt-Anleitungen sicher durch den Prozess. Foto: dusanpetkovic
Wie wirkt die intuitive Bedienbarkeit auf das Thema Qualifikation insgesamt?
Bei intuitiver Bedienbarkeit mithilfe digitaler Tools stehen Benutzerfreundlichkeit, einfache Handhabung und visuelles Feedback im Vordergrund. Übersichtlich gestaltete Oberflächen, Warnmeldungen mit Handlungsempfehlungen sowie Schritt-für-Schritt-Anleitungen direkt am Display bringen Lerneffekte mit sich. Die Bediener müssen die Landessprache dann nicht unbedingt perfekt beherrschen, sondern können auch über Symbole oder Piktogramme mit der Maschine kommunizieren.
In welches Verhältnis lassen sich der deutsche Fachkräftemangel und die leichtere Bedienbarkeit von Maschinen setzen?
Ich sehe hier zwei Aspekte: Wir haben in Deutschland gute Schlüsselindustrien, die auch beim Export stark sind, wie der Maschinenbau oder die Automobilindustrie, denen es an Ingenieuren und Facharbeitern mangelt. Hinzu kommt Folgendes: Wir haben eine Akademisierung und durch den demografischen Wandel ohnehin weniger junge Menschen – und diese jungen Menschen entscheiden sich leider nicht häufig genug für die sogenannten MINT-Fächer, also die technischen Studiengänge. Gerade dreht es sich wieder ein kleines bisschen zugunsten der technischen Ausbildung – etwa bei den Mechatronikern –, aber es sind immer noch viel zu wenige. Das heißt für uns als VDMA, das Thema Technik gehört in die Schule, bei den entsprechenden Studiengängen sollten das Image verbessert und potenzielle Einstiegsängste – etwa vor „Mathelastigkeit“ – abgebaut werden.
Was die leichtere Maschinenbedienbarkeit betrifft, so hilft diese dabei, den Fach- und Arbeitskräftemangel in der Lebensmittelindustrie abzumildern. Denn Maschinen müssen nicht nur bedient, sondern auch gewartet werden. Digitale Tools und schrittweise Anleitungen unterstützen den Bedienenden dabei, auch diese Aufgaben zu erfüllen.
Michael Hopp
Autor in der Foodtech Now!-Redaktion, der mit seinen Geschichten zeigen will, dass Tradition und Innovation zusammengehören.