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„Ich bin hier zum Hofnachfolger sozusagen sozialisiert worden“, erklärt Heiner Schrobsdorff aus der 700-Seelen-Gemeinde Winnigstedt in einem Feature des Deutschlandfunks1. 44 Hektar Land in der Nähe von Braunschweig, Scheune, Ställe, Wohnhaus – all das sollte Heiner als einziger Sohn der Familie eines Tages übernehmen: „Da wurde nicht viel drüber gesprochen. Aber das war eben allgemeine Ansicht, dass das so sei.“
Der Hof bleibt in der Familie – das war einst klare Sache. Heute jedoch entscheiden sich immer mehr Kinder von Landwirten bewusst gegen die Übernahme. Von den noch rund 255.000 Höfen in Deutschland haben nur etwa ein Drittel eine gesicherte Nachfolge. Die Konsequenz: Über alle Sparten hinweg müssen Höfe aufgegeben werden, die Produktion wird eingestellt oder wandert zu immer größeren Betrieben.

Die deutsche Nutztierhaltung durchläuft dadurch seit Jahren einen Strukturwandel: Allein zwischen 2010 und 2020 sind zehntausende Tierhaltungen verschwunden, immer weniger Betriebe halten immer größere Bestände. Bei Zuchtschweinen zum Beispiel stieg die Anzahl der Tiere laut Fleischatlas 2021 pro Betrieb von 142 auf 256, bei Mastschweinen ab 50 Kilogramm von 398 auf 653 Tiere2.
Auch Heiner Schrobsdorff entschied sich gegen das Leben als Landwirt. Er sympathisierte zwar mit der ökologischen Landwirtschaft, jedoch zu einer Zeit, als Bio-Pioniere noch belächelt wurden. Sein Vater wollte davon nichts wissen – und verpachtete das Land schließlich an Großbauern. „Das wäre damals auch hier bei den anderen Landwirten schwer möglich gewesen zu sagen: Ich mache jetzt Bio-Anbau“, erinnert sich Heiner. Er wurde Berufsschullehrer, die landwirtschaftlichen Flächen blieben verpachtet, die Gebäude lagen brach.
2008 verstarb Heiners Vater. 2018 entschied sich der damals 64-jährige Heiner, sein Erbe außerfamiliär zu vererben. Gesamtwert: rund anderthalb Millionen Euro. „Mein Wunsch war, dass die landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr konventionell bewirtschaftet werden, sondern biologisch.“ So ist er auf hofsuchtbauer.de gestoßen. Der Agrarökonom Christian Vieth verknüpft über die Plattform Landwirte, die Nachfolger suchen, mit jungen Menschen, die einen Hof übernehmen möchten. Foodtech Now! traf ihn zum Interview.
Interview mit Christian Vieth

Herr Vieth, welche Bedeutung hat es, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb schließen muss?
Es ist ein Unterschied, ob es, wie früher, 100 Bauern im Dorf gibt und einer aufhört – oder ob noch drei Bauern im Dorf sind und alle drei aufhören. Die Dinge wandeln sich. In einem durchschnittlichen Dorf in Deutschland, das 400 oder 500 Einwohner hat, stand früher vor jedem zweiten Haus eine Milchkanne. Die Landwirtschaft entfremdet sich immer mehr von der Gesellschaft, das liegt auch daran, dass wir immer weniger Bauern und Bäuerinnen haben. Wir haben zum Beispiel in meinem Heimatdorf Niederwallmenach in Rheinland-Pfalz einen EU-zertifizierten Schlachthof, der holt regional die Tiere von den Bauern ab. Das geht morgens los, dann hört man die Schweine und die Rinder. Und früher als Kinder, haben wir da auch zugeschaut. Das war selbstverständlich, das gehörte zum Leben dazu. Die Menschen waren näher dran. Heute wird immer noch Fleisch gegessen, aber gleichzeitig gar nicht mehr gezeigt, wie es verarbeitet wird. Der Mensch hat den Bezug zum Schlachten total verloren.
Welche Konsequenzen drohen uns in Zukunft durch das Höfesterben?
Wir haben jetzt schon ein Problem, das nicht nur die Bauern selbst betrifft. Die vor- und nachgelagerten Bereiche fallen auch weg. Fragen Sie mal einen Landwirt, der direkt vermarktet: „Wohin bringst du deine Tiere, wenn du schlachten willst?“ Der ist richtig lange unterwegs. Die Zahl der Schlachthöfe wird immer geringer, weil es keine Betriebe mehr gibt, die Tiere anliefern. Und dann hat man wieder mehr Tiertransporte, die keiner will – und es gibt den nächsten Ärger.
Und welche Auswirkungen spüren die Menschen, die selbst nicht in der Landwirtschaft tätig sind?
Es gibt eine Studie aus Bayern von 1993 namens “Externe Effekte bäuerlicher Landwirtschaft in Bayern”, die zeigt, dass dort, wo Bäuerlichkeit vorherrscht, die Menschen zufriedener sind, dass dort mehr Kinder leben, dass dort eine höhere Nettowertschöpfung herrscht, dass die Kriminalität niedriger ist. Bäuerliche Landwirtschaft sichert zudem Biodiversität, Landschaftspflege und regionale Lebensmittelversorgung. Kurz: Sie erzeugt noch ganz andere Effekte außerhalb ihrer direkten Funktion als Produzent von Getreide oder Fleisch. Und mit jedem Bauern, der verschwindet, verschwinden auch diese positiven Effekte.
Mit Ihrem Portal wollen Sie das verhindern. Gibt es denn genug junge Menschen, die in die Landwirtschaft einsteigen möchten?
Anfang der 2000er habe ich im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität Kassel eine Umfrage an allen Agrar-Universitätsstandorten in Deutschland durchgeführt. Auf meine Fragebögen habe ich schon damals 3000 Rückmeldungen von jungen Menschen erhalten, die in die Landwirtschaft einsteigen wollen – innerhalb von zwei Wochen. Mittlerweile erreichen uns täglich Anfragen.

Das heißt: Wer einen Hof abzugeben hat, findet auch einen Interessenten?
Schaltet ein Bauer ein Inserat bei uns, weil er eine Nachfolgelösung sucht, dann erhält das – je nachdem, wo der Betrieb liegt – zwischen 7.000 und 25.000 Klicks. Aber ein Klick ist natürlich keine Kaufentscheidung. Der Bauer bekommt dann Motivationsschreiben von uns zugesandt, die wir bei den Interessenten abfragen: Wer seid ihr, warum interessiert ihr euch für den Hof, was bringt ihr mit? Von den Tausenden, die klicken, schreiben vielleicht 30 ein solches Motivationsschreiben. Mit etwa drei davon tritt der Bauer in Kontakt und entscheidet sich für einen.
Zu welchen Bedingungen?
In drei Viertel der Fälle zu Bedingungen, wie sie auch innerhalb der Familie wären. Das heißt: Sie bekommen den landwirtschaftlichen Betrieb per Hofübergabe übertragen und zahlen dafür monatlich einen Teil an den Bauern, sodass der seine Rente aufbessern kann. Der Bauer und die Bäuerin bleiben auf dem Hof wohnen und haben Menschen, die sich im Alter um sie kümmern. Die Nachfolger bekommen den Betrieb für eine Taschengeldleistung. Und ich bin dann erfolgreich gewesen, wenn ich mich in diesem Prozess überflüssig gemacht habe und nicht mehr gebraucht werde.
Gab es in Deutschland laut Statistischem Bundesamt Anfang der Siebziger noch über eine Million landwirtschaftlicher Betriebe, waren es Anfang der 2000er schon deutlich weniger als die Hälfte3, heute nur noch etwa 255.0004. Die DZ-Bank, die aus den Genossenschaftsbanken für Bauern hervorgegangen ist, erwartet einen Rückgang auf rund 100.000 Höfe im Jahr 20405. Das führt nicht nur zu einem Verlust landwirtschaftlicher Vielfalt und Biodiversität: Es betrifft auch die vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche und schränkt die Strukturen in ländlichen Gebieten weiter ein.

Außerfamiliäre Hofübernahmen können diese Entwicklung vermeiden – wie die Geschichte von Heiner Schrobsdorff zeigt. Die Bedingungen für sein großzügiges Geschenk – neben der Verpflichtung, ökologische Landwirtschaft zu betreiben – waren überschaubar: Heiners Mutter sollte in der vertrauten Umgebung wohnen bleiben und finanziell unterstützt werden. Seine Frau und er erhalten eine monatliche Zahlung von 250 Euro und sicherten sich ein lebenslanges Recht auf eine wöchentliche Bio-Gemüsekiste vom Hof: „Ich möchte nicht möglichst viel herausholen aus dem, was mir gehört hat“, erklärt Heiner. „Sondern ich möchte, dass es biologisch bewirtschaftet wird. Dass es wieder zum Leben erweckt wird.“
Heiner erhielt mehrere Bewerbungen auf sein Angebot. Seine Wahl fiel auf Bärbel Lorenz und Raphael Mühlegger mit ihrer gemeinsamen Tochter Lola. Die beiden haben sich dazu entschieden, dem Betrieb wieder den ursprünglichen Namen zu geben, unter dem er jahrzehntelang in der Umgebung bekannt war: Hof Meinicke. Ob Tochter Lola den Hof eines Tages übernehmen möchte, bleibt abzuwarten. Für mindestens eine Generation ist Heiners Hof wieder zum Leben erweckt – ökologisch, wie er es sich immer gewünscht hat. Für ihn steht daher schon heute fest: „Es hätte nicht besser für mich laufen können.“
Quellen
1 Deutschlandfunk: Ein ökologisches Experiment. Heiner verschenkt seinen Bauernhof. Hörspiel und Feature, Sendung vom 17.07.2022. Online verfügbar unter: https://www.hoerspielundfeature.de/ein-oekologisches-experiment-heiner-verschenkt-seinen-100.html [Zugriff: 23.09.2025].
2 Heinrich-Böll-Stiftung / BUND: Fleischproduktion in Deutschland: Weniger Bauern, mehr Fleischindustrie. Fleischatlas 2021. Veröffentlicht am 06.01.2021. Online verfügbar unter: https://www.boell.de/de/2021/01/06/fleischproduktion-deutschland-weniger-bauern-mehr-fleischindustrie [Zugriff: 23.09.2025].
3 Statistisches Bundesamt (Destatis): Klassifizierung der landwirtschaftlichen Betriebe von 1971 bis 2001. In: WISTA – Wirtschaft und Statistik, Ausgabe 3/2003. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2003/03/klassifizierung-landw-betriebe-1971-2001-032003.html [Zugriff: 23.09.2025].
4 Statistisches Bundesamt (Destatis): Landwirtschaftliche Betriebe – Ökologischer Landbau nach Bundesländern. Online verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Tabellen/oekologischer-landbau-bundeslaender.html [Zugriff: 23.09.2025].
5 OM Online: Studie: 2040 nur 100.000 Bauernhöfe. Veröffentlicht am 12.04.2023. Online verfügbar unter: https://www.om-online.de/wirtschaft/studie-2040-nur-100000-bauernhoefe-184544 [Zugriff: 23.09.2025].
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Foto Header: Ludwig Schöpfer
Portrait Silke Schröckert: David Königsmann