Der Produktschutz ist zugleich der größte Hebel für Nachhaltigkeit, weil er den Lebensmittelabfall reduziert. Im Interview erklären Mara Strenger und Alina Siebler vom Sustainable Packaging Institute (SPI) der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, welche Zielkonflikte Fleischverpackungen lösen sollten und wo noch Potenzial besteht.
Mara Strenger, Leiterin der Forschungsgruppe Sutainable Packaging Concepts sowie stellvertretende Institutsleiterin, und Alina Siebler, wissenschaftliche Mitarbeiterin (v. l.). Beide arbeiten am Sustainable Packaging Institute (SPI) der Hochschule Abstadt-Sigmaringen
Welchen spezifischen Herausforderungen stehen Fleischwarenhersteller bei der Verpackung gegenüber?
Mara Strenger: Fleisch ist ein sehr sensibles Produkt, weil es leicht verderblich ist. Neben der Prozesshygiene spielt beim Produktschutz die Verpackung eine grundlegende Rolle. Bei vielen Fleischwaren im Frischebereich haben wir ein Verbrauchs- und kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Diese Frischfleischprodukte sind anfällig gegenüber UV-Licht, das heißt, sie benötigen eine Verpackung, die einen UV-Filter hat und gleichzeitig für den Erhalt der roten Farbe einen Sauerstoffgehalt von ungefähr 70 bis 80 Prozent halten kann. Das bedeutet Modified Atmosphere Packaging (MAP), wobei die Luft durch eine schützende Gasmischung ersetzt wird.
Wenn wir uns dagegen die gepökelten Wurstwaren anschauen, sollte der Sauerstoffgehalt in der Verpackung im Idealfall weniger als 1 Prozent betragen. Hinzu kommt, dass wir gepökelte Wurstwaren vor sichtbarem und nicht vor UV-Licht schützen müssen. Beides ist zugleich durch entsprechende Barrieren und Eigenschaften von solchen MAP-Verpackungen möglich, um den spezifischen Anforderungen zu genügen.
Fleischprodukte werden üblicherweise in Tiefziehschalen verpackt. Foto: alle12
Welche neuen Verpackungskonzepte gibt es?
Mara Strenger: Ein Verpackungskonzept, das in Supermärkten relativ neu zum Beispiel für Hackfleisch zu finden ist, sind Schlauchbeutelverpackungen bzw. Flowpacks, die aus einem flexiblen Kunststofffilm bestehen. Üblicherweise kennt man Fleischwaren in Tiefziehschalen bzw. Trays, die abhängig vom Produkt bezüglich der Tiefe variieren. Das Tiefziehteil, das mit einer Siegelfolie verschlossen wird, schützt das Produkt ausreichend, verlangt aber durch die Tiefziehform einen höheren Materialeinsatz im Vergleich zu Flowpacks, weil der Kunststofffilm eine gewisse Materialdicke braucht, um tiefgezogen werden zu können.
Das bedeutet, um den höheren Materialeinsatz zu vermeiden, entfällt bei Flowpacks die Schale?
Mara Strenger: Ja, die Kunststofffolie selbst übernimmt die Funktion der Verpackung, sodass kein Tray mehr nötig ist. Der Produktschutz bleibt zwar erhalten, aber die Präsentation verändert sich: Anders als beim Tray, wo alles geordnet daliegt, kann sich die Position des Produkts im Flowpack leichter verändern. Im Tray gibt es meist ein Absorberpad, das austretenden Fleischsaft aufsaugt; beim Flowpack fehlt dieses. Wenn das Produkt beim Transport oder Einräumen mit der Kunststofffolie in Berührung kommt, kann dies dazu führen, dass es nicht mehr ganz so appetitlich aussieht.
“Abhängig vom Produkt sind es etwa 99 Prozent der Treibhausgasemissionen, die schon bei der Herstellung des Produkts anfallen, nicht erst bei der Verpackung.”
Verpackungen gelten als wichtiger Hebel bei der Reduktion der CO₂-Belastung. Wie groß ist dieser Hebel bei der Verpackung von Fleischwaren?
Alina Siebler: Bei der CO₂-Belastung ist weniger das Verpackungsmaterial oder die -menge ausschlaggebend, sondern die Schutzfunktion der Verpackung, um die Qualität der Fleisch- und Wurstwaren so lange wie möglich zu erhalten. Abhängig vom Produkt sind es etwa 99 Prozent der Treibhausgasemissionen, die schon bei der Herstellung des Produkts anfallen, nicht erst bei der Verpackung. Wer bei der Verpackung spart, riskiert, dass der Produktschutz leidet. Bei Obst und Gemüse ist dieses Verhältnis anders. Dabei stecken vielleicht auch mal 10 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Verpackung. Wenn wir die Nachhaltigkeit von Lebensmittelverpackungen als Ganzes betrachten, sollten wir gleichzeitig immer das Zusammenspiel von Verpackung und Lebensmittel betrachten, weil sonst ein falsches Bild entsteht.
Die EU-Verpackungsverordnung (PPWR) schreibt vor, dass Verpackungsabfälle bis 2040 um 15 Prozent reduziert werden und bis 2030 alle Verpackungen recyclingfähig sein müssen. Sind diese Ziele angemessen und erreichbar?
Alina Siebler: Die Vorgaben gelten für alle Materialien. Betrachtet man das Gewicht, könnte das Ersetzen schwerer Verpackungen aus Glas oder Metall durch leichtere Kunststoffe dabei helfen, die Reduktionsziele zu erreichen, wobei bei den Kunststoffen darauf zu achten ist, dass sie sich für den Lebensmittelkontakt eignen. In puncto Recyclingfähigkeit schneiden Glas und Metall jedoch deutlich besser ab als Mehrschichtverbundverpackungen. Bei Lebensmittelverpackungen ist in den letzten Jahren bereits stark optimiert worden; Spielraum besteht hier kaum noch. Bei Fleisch- und Wurstwaren dominieren bislang Mehrschichtverpackungen, die funktional nötig, aber schwer zu recyceln sind. Der Trend geht daher zu Monomaterialien.
Um die Frage zu beantworten, ob die Ziele hinsichtlich Abfallreduktion und Recyclingfähigkeit angemessen und erreichbar sind: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, Verpackungen kreislauffähiger zu gestalten und den Materialeinsatz zu reduzieren, solange dabei der Produktschutz gewährleistet ist.
Wenn wir nicht recycelbare, aber sehr effiziente Mehrschichtverbunde durch Monomaterialien ersetzen, brauchen wir häufig viel dickere Schichten, um dieselbe Funktionalität zu erreichen. Das heißt, wir reduzieren dann nicht mehr die Verpackung, sind aber kreislauffähiger. Diese Differenzen zwischen den Zielen optimal zu managen, ist nicht so einfach.
Hackfleisch eingeschlagen in Servicepapier. Foto: LauriPatterson
Als „offen verkauft“ und somit „frischer“ gelten Wurst- und Fleischwaren, die in Papier eingeschlagen werden. Wie ist die Ökobilanz dieser Papiere im Vergleich zu Vakuum-Skin-Verpackungen?
Mara Strenger: Diese Servicepapiere sind auch eine Verpackung, auch wenn sie von Kunden oft nicht als solche wahrgenommen werden. Nur kann ein Servicepapier keinen Sauerstoffgehalt von 70 bis 80 Prozent halten, wie ich ihn bei rotem Frischfleisch etwa brauche. Wenn es dann länger im Papier im Kühlschrank liegt, wird es grau und sieht unappetitlich aus, auch wenn es mikrobiologisch noch unbedenklich sein könnte. Bei der Ökobilanz könnte die vermeintliche „Überverpackung“ durch eine höhere Haltbarkeit ausgeglichen werden.
Bei der Paperization werden Kunststoffverpackungen durch Papier, Pappe und Karton ersetzt. Foto: Alinakho
Es gibt viel Forschung und Ideen für nachhaltigere Verpackungen, aber inwieweit spielen Handel und Verbraucher dabei mit?
Mara Strenger: Der Handel macht oftmals die Vorgaben und will zugleich den Verbrauchern entgegenkommen. Ein Trend ist gerade die Paperization, wobei Kunststoffverpackungen durch Papier, Pappe und Karton ersetzt werden. Ohne eine Funktionalisierung bietet Papier aber nicht den nötigen Schutz für sensible Produkte. Am Markt zu finden sind Fasergussschalen, die zusätzlich funktionalisiert oder als Mehrschichtverbundverpackung eingesetzt werden. Die Recyclinganleitung auf der Verpackung bietet Hinweise, wie diese Materialschichten voneinander zu trennen und zu entsorgen sind. Viele Verbraucher machen das aber nicht und dann läuft der ganze Ansatz aus Recyclingsicht ins Leere. Wenn ich das mit dem Kunststoff-Flowpack vergleiche, können bei diesem bis zu 70 Prozent Material im Vergleich zum Tray eingespart werden. Die Frage ist aber, ob Verbraucher dieses Verpackungskonzept auch als nachhaltiger identifizieren.
Den großen Händlerketten wird oft vorgeworfen, etwa von der Deutschen Umwelthilfe, sie erzeugten zu viel Verpackungsmüll. Was ist davon zu halten?
Alina Siebler: Ich glaube, die Handelsketten bekommen von allen Seiten Druck und versuchen, es richtig zu machen. So fordern Verbraucher nachhaltigere Verpackungen, wobei sich die Wahrnehmung von Nachhaltigkeit oft deutlich von wissenschaftlichen Erkenntnissen unterscheidet. So spart der Handel beispielsweise Kunststoff, indem bei Joghurt- oder Frischkäsebechern der Deckel weggelassen wird. Durch diese Einsparung steigt aber die Gefahr, dass die Deckelfolie des Joghurts beschädigt wird. Häufig führt das im Handel und/oder zu Hause dazu, dass der Becher samt Inhalt entsorgt wird.
Mara Strenger: Nach der PPWR-Verordnung sollen auch Überverpackung, also der Leerraum in der Verpackung, vermieden werden. Aber bei Schüttprodukten wie Cornflakes ist es prozesstechnisch manchmal gar nicht anders möglich. Ich täte mich schwer damit, zu sagen, die Überverpackung wäre ein Ergebnis der großen Lebensmitteleinzelhändler.
Foto: somboon kaeoboonsong
Was sind die aktuellen und zukünftigen Trends bei den Verpackungskunststoffen?
Mara Strenger: Der Trend geht, auch wegen der PPWR-Verordnung und ihrem Fokus auf Recyclingfähigkeit, weiterhin in Richtung Monomaterialien, wobei sich die Verpackung dann zu mindestens 95 Prozent aus einem Packstoff zusammensetzt.
Herausfordernd ist, dass die Recyclingkriterien der PPWR noch gar nicht veröffentlicht worden sind – die Industrie schwimmt dahingehend momentan ein bisschen. Zusätzlich müssen ab 2035 alle Verpackungen „im großen Maßstab“ recyclingfähig sein. Im Moment ist das nur bei bestimmten Verpackungsmaterialien der Fall, da es nur dafür eine entsprechende Recyclinginfrastruktur gibt. Deshalb geht der Trend so stark in Richtung Monomaterial, weil viele glauben, damit auf der halbwegs sicheren Seite zu sein, solange die Kriterien noch nicht genau genannt worden sind.
Inwieweit kann die Automatisierung im Verpackungsbereich zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?
Alina Siebler: Die Automatisierung ist im Moment eng mit dem Einsatz von KI verknüpft und tatsächlich liegt darin großes Potenzial, um die Nachhaltigkeit von Verpackungen zu erhöhen. So können KI-Modelle bereits bei der Rohstoffauswahl die Materialeigenschaften vorhersagen und zeigen, ob sich weitere Entwicklungen lohnen. Außerdem lässt sich KI bei der Prozessüberwachung und Wartung einsetzen oder bei der Sortierung im Recyclingprozess, um Energie zu sparen und die Qualität der Rezyklate zu verbessern.
Pflanzliche Fleischalternative verpackt in einer Tiefziehschale. Foto: ChayTee
Im Markt gewinnen aus alternativen Proteinen hergestellte Lebensmittel an Bedeutung. Was ändert sich bei diesen Produkten an der Verpackung?
Alina Siebler: Viele pflanzliche Produkte sind derzeit noch genauso verpackt wie ihre tierischen Pendants. Dabei unterscheiden sich ihre Anforderungen deutlich, etwa durch andere, weniger empfindliche pflanzliche Farbstoffe. Ein Sauerstoff- oder Lichtschutz ist zwar auch hierbei erforderlich, aber nicht in dem Maße wie bei Verpackungen für Fleisch. Das bietet die Chance, Verpackungen zu reduzieren, Barriereschichten einzusparen und so die Kreislauffähigkeit zu verbessern.
Was bedeutet intelligente Verpackung? Stellen Sensorik und Datenträger besondere Anforderungen an Materialien und Formen?
Alina Siebler: Intelligente Verpackungen liefern den Akteuren Informationen über das Produkt oder die Lieferkette – zum Beispiel, ob die Kühlkette eingehalten wurde. Es gibt auch Frische-Indikatoren, die als dynamisches Haltbarkeitsdatum fungieren können. Das kann etwa ein Punkt auf der Verpackung sein, der grün ist, solange das Produkt verzehrbar ist. Der Punkt hat eine Verbindung zum Inneren der Verpackung und gibt Auskunft über den mikrobiellen Zustand. Allgemeine Anforderungen von Sensoren oder Datenträgern an Verpackungsmaterialien oder -formen lassen sich nicht pauschal festlegen; sie hängen stets vom jeweiligen Anwendungsfall ab. Größeren Einfluss hat meist der Herstellungsprozess, etwa die Frage, wie Sensoren oder Datenträger auf die Verpackung aufgebracht oder in sie integriert werden.