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Die Fermentation, eine althergebrachte Technik, die früher vor allem für die Herstellung von Brot, Käse, Joghurt und sogar alkoholischen Getränken eingesetzt wurde, steht heute an der Spitze einer modernen Lebensmittelrevolution. Dank biotechnologischer Fortschritte wird die Fermentation zur Herstellung von mikrobiellen Proteinen genutzt, die als Alternative zu tierischen Proteinen verwendet werden können. Während die Fermentation früher oft genutzt wurde, um mit Hilfe lebender Mikroorganismen Geschmack, Textur oder Nährwertprofil von Lebensmitteln zu verändern, bieten die modernen Techniken sehr viel mehr Möglichkeiten, um innovative und nahrhafte Produkte herzustellen, die den wachsenden Erwartungen der Verbraucher entsprechen.
Fermentation in der alternativen Proteinindustrie
Die Fermentation spielt eine Schlüsselrolle in der Herstellung funktioneller Inhaltsstoffe, die für die Entwicklung alternativer Proteine unerlässlich sind, sie ist aber auch wichtig, wenn es um die Herstellung von Endprodukten in großen Mengen geht. Im Fermentationsprozess werden Mikroorganismen gezüchtet, um Nahrungsbestandteile umzuwandeln, proteinreiche Biomasse zu erzeugen oder bestimmte Verbindungen wie Enzyme, Proteine und Fette für die industrielle Verwendung zu extrahieren. In dieser Hinsicht lässt sich die Fermentation in drei Hauptkategorien unterteilen: traditionelle Fermentation, Biomassefermentation und Präzisionsfermentation. Jede mit unterschiedlichen Methoden und Vorteilen für die Herstellung nachhaltiger, tierfreier Lebensmittel.
Traditionelle Fermentation
Die traditionelle Fermentation basiert auf Mikroorganismen wie Hefen und Pilzen und wird heute eingesetzt, um Aroma, Geschmack, Textur, Farbe und sogar das Aminosäureprofil und den Nährwert alternativer Proteine zu verbessern. Während dieses Prozesses stellen Mikroben Zwischenprodukte her, die die Zusammensetzung des Lebensmittels verändern und Antinährstoffe verringern, darunter Phytate und Tannine, die den Körper an der Aufnahme essenzieller Nährstoffe hindern. Mit diesen Methoden werden pflanzliche Inhaltsstoffe beispielsweise in Joghurt, Tempeh und Tofu umgewandelt.
Immer mehr Startups setzen auf traditionelle Fermentation, um die sensorischen Eigenschaften ihrer alternativen Proteinprodukte zu verbessern.
Das israelische Unternehmen Chunk Foods nutzt beispielsweise ein Feststofffermentationsverfahren (SSF), um Soja und andere pflanzliche Proteine in Fleischalternativen wie Steak umzuwandeln. SSF ermöglicht die Steuerung von Textur, Faserausrichtung und Geschmack. Dazu werden lebensmitteltaugliche Mikroben eingesetzt, um Zutaten wie Sojabohnen, Kichererbsen oder Weizengluten in schmackhafte und nährstoffreiche Verbindungen aufzuspalten. Das Ergebnis sind Produkte, die in Struktur und Geschmack einem Stück Fleisch sehr ähnlich sind, dabei aber wenig Fett und Natrium sowie viel Protein enthalten.
Das US-amerikanische Unternehmen Prime Roots verfolgt einen anderen Ansatz und verwendet Koji-Myzel, einen Fadenpilz, der in der japanischen Küche zur Herstellung von Miso, Sake und Sojasauce verwendet wird. Das Unternehmen fermentiert Koji mit anderen pflanzlichen oder pilzbasierten Zutaten, um verschiedene Feinkostwaren wie Speck, Wurst und Hähnchen herzustellen. Koji setzt während der Fermentation Proteine und Kohlenhydrate frei, die einen reichhaltigen Umami-Geschmack erzeugen und ein sensorisches Erlebnis bieten, das tierischem Fleisch sehr nahekommt. Die Produktlinie von Prime Roots umfasst Koji-Truthahn (klassisch geräuchert, mit Pfefferkörnern, goldbraun gebraten), Koji-Schinken (klassisch geräuchert, Schwarzwälder Art, kanadischer Ahornschinken) sowie Koji-Speck und Charcuterie-Produkte auf Koji-Basis wie Salami, Peperoni-Wurst, Pastete und sogar Gänseleber. Alle Produkte sind frei von Soja, Cholesterin, Nitraten, Hormonen und Antibiotika.
Biomassefermentation
Bei der Biomassefermentation wird die Nährkraft von Pilzmyzel (dem fadenförmigen Netzwerk, das den vegetativen Teil eines Pilzes bildet) genutzt, um proteinreiche Lebensmittel herzustellen. Bei diesem Verfahren wird Myzel zusammen mit Zucker und anderen Nährstoffen in großen Fermentationstanks kultiviert. Die Pilze werden mit Kohlenhydraten aus Nebenprodukten wie Zuckerrübenschnitzeln gefüttert, die mit Pilzkulturen beimpft werden, um zu einer dichten Myzel-Biomasse heranzuwachsen. Die Biomasse wird anschließend verarbeitet, aromatisiert und zu alternativen Proteinprodukten geformt, die als Mykoprotein bekannt sind.
Mykoprotein enthält viel Eiweiß und Ballaststoffe, wichtige Vitamine und Mineralstoffe und kann ohne Extraktion oder Reinigung als Zutat verwendet werden.
Ein führendes Beispiel ist der Fleischersatz Quorn, der von der britischen Firma Marlow Foods entwickelt wurde. Hier wird Mykoprotein im industriellen Maßstab unter Verwendung des Schlauchpilzes Fusarium venenatum hergestellt. Das Ergebnis ist eine fleischähnliche Proteinquelle, die ballaststoffreich und fettarm ist und den Muskelaufbau fördert. Der gesamte Fermentationsprozess, der zur Steuerung von Farbe, Textur und Geschmack fein abgestimmt werden kann, dauert nur wenige Tage und stellt eine zeit- und kosteneffiziente Produktionsmethode dar.
Weltweit treiben mehrere Startups die Biomassefermentation voran, um von einer nachhaltigen Proteininnovation zu profitieren.
Das israelische Unternehmen Kinoko-Tech entwickelt in einem Biomassefermentationsprozess Proteine auf Myzel-Basis, wobei keine weitere Verarbeitung erforderlich ist. Durch die Kombination verschiedener Pilzstämme mit Hülsenfrüchten wie Quinoa und Linsen werden vollwertige Proteinlebensmittel hergestellt, die alle neun essenziellen Aminosäuren sowie natürliche Pflanzenfasern enthalten. Das Unternehmen hat mittlerweile ein breites Produktangebot, das von Burgern und Würstchen bis hin zu Fleischbällchen, Kebabs und Snackriegeln reicht.
Das deutsche Unternehmen Mushlabs verfolgt bei der Biomassefermentation einen zirkulären Ansatz und verwendet Abfälle aus der Lebensmittelindustrie und Landwirtschaft als Ausgangsmaterial für den Anbau essbarer Pilzmyzelien. Bei seinem Flüssigfermentationsverfahren werden Myzel-Zellen in Bioreaktoren kultiviert, wo sie sich schnell vermehren und in hochwertige, protein- und ballaststoffreiche Biomasse umgewandelt werden. Die so gewonnene Zutat behält den Geschmack und die Textur von Fleisch und liefert essenzielle Aminosäuren, Ballaststoffe und Antioxidantien. Dieses Verfahren benötigt viel weniger Wasser und Boden als eine traditionelle Tierhaltung und öffnet durch die Reduzierung von Lebensmittelabfällen und den geringeren Ressourcenverbrauch einen Weg zu einer nachhaltigeren Lebensmittelversorgung.
Alles über Präzisionsfermentation
Auch die Präzisionsfermentation ist eine transformative Technik, die die Zukunft alternativer Proteine vorantreibt. In diesem Verfahren programmieren Wissenschaftler mithilfe der Gentechnik Mikroorganismen (wie Hefen oder Bakterien) so, dass sie bestimmte Proteine produzieren, die denen in tierischen Produkten ähneln. Nach der Modifizierung werden die Mikroorganismen in Bioreaktoren unter kontrollierten industriellen Bedingungen kultiviert, wo sie Zucker und Nährstoffe effizient in hochwertige Proteine umwandeln, die für den großtechnischen kommerziellen Einsatz geeignet sind.
Diese Mikroben können komplexe Proteine wie Kasein und Molke, die traditionell aus Milchprodukten gewonnen werden, oder andere funktionelle Inhaltsstoffe erzeugen, die tierische Bestandteile nachahmen.
Mehrere richtungsweisende Unternehmen wenden bereits die Präzisionsfermentation für ihre Lebensmittelinnovationen an.
Die schwedische Firma Melt & Marble nutzt synthetische Biologie und Stoffwechseltechnik, um Hefestämme zu entwickeln, die tierfreie Fette mit dem gleichen Geschmack und Nährwertprofil wie ihre tierischen Pendants produzieren können. Auf diese Weise kann Melt & Marble die Arten der produzierten Fettsäuren und deren Zusammenbau zu bestimmten Fettmolekülen steuern. Das Unternehmen kann dann die Fettzusammensetzung und -textur feinabstimmen und so den Weg für die Entwicklung alternativer Fleischprodukte ebnen.
Ein weiteres Beispiel ist die Firma Impossible Foods, die mittels Präzisionsfermentation Häm produziert, ein eisenhaltiges Molekül, das für Farbe, Aroma und Geschmack von Fleisch verantwortlich ist. Das US-amerikanische Unternehmen manipuliert die Hefe Komagataella phaffii genetisch, um Soja-Leghämoglobin zu produzieren, eine pflanzliche Version von Häm, die chemisch identisch mit der tierischen Muskelform ist. Dieser Inhaltsstoff verleiht dem Impossible Burger sein charakteristisches „blutiges” Aussehen und seinen herzhaften Geschmack. Sowohl die amerikanische Bundesbehörde zur Lebens- und Arzneimittel-Überwachung (FDA) als auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) haben das durch Fermentation gewonnene Soja-Leghämoglobin von Impossible Foods als unbedenklich für den Verzehr eingestuft. Es ist für die Verwendung als Farb- und Aromastoff in Fleischalternativen mit einem maximalen Anteil von 0,8 % zugelassen.
Präzisionsfermentation bei Milchprodukten
In der Milchwirtschaft ermöglicht Präzisionsfermentation die Herstellung wichtiger Milchproteine, hauptsächlich Kasein und Molke, und zwar ganz ohne die Milch von Kühen. Wissenschaftler kodieren Milchprotein-DNA-Sequenzen in Mikroorganismen wie Hefen oder Pilzen, die dann in Fermentern kultiviert werden. Innerhalb von etwa zwei Wochen produzieren diese Mikroben Proteine, die molekular identisch mit denen der Kuhmilch sind. Daher können diese Proteine als Grundlage für Milchprodukte dienen, die genau wie ihre herkömmlichen Pendants aussehen, schmecken und wirken.
Ein herausragendes Beispiel in diesem Bereich ist das amerikanische Biotechnologieunternehmen The EVERY Company, das gentechnisch veränderte Hefe zur Herstellung tierfreier Proteine wie Albumin, Eiweiß und Pepsin verwendet. Seine präzisionsfermentierten Proteine sind geschmacksneutral und gut löslich, so dass sie sich für eine Vielzahl von Produkten wie Backwaren, Getränke und Desserts eignen. Das Eiweiß von EVERY dient als Ersatz für herkömmliche Eier, während sein Pepsin als hochaktive, tierfreie Alternative zu Schweinepepsin verwendet wird, das in der Lebensmittelverarbeitung und in Laboranwendungen zum Einsatz kommt. Nach Angaben des Unternehmens enthalten die Endprodukte keine rekombinanten genetisch veränderten Organismen (GVO) oder zugesetzten Zucker. Durch eine Partnerschaft mit Ingredion hat EVERY nun auch sein tierfreies Pepsin in den weltweiten Handel gebracht.
Jüngste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Herstellung von Ei- und Milchproteinen im Rahmen der Präzisionsfermentation die Treibhausgasemissionen um bis zu 70 % reduzieren könnte, während im Vergleich zur traditionellen Tierhaltung 95 % weniger Land und 80 % weniger Wasser verbraucht würden und es zu einer weitaus geringeren Nährstoffbelastung kommt.
Fazit
Fermentation bietet eine vielversprechende Lösung für mehrere Herausforderungen, denen sich die Branche für alternative Fleischprodukte gegenübersieht. Sie erhöht den Nährwert und die Verdaulichkeit der Produkte und verbessert vor allem deren Geschmack, Textur und Aroma erheblich, sodass die Produkte dem sensorischen Erlebnis von echtem Fleisch näherkommen. Diese Fortschritte könnten alternative Fleischprodukte für Verbraucher attraktiver und überzeugender machen.
Da fermentierte Lebensmittel noch relativ neu sind, stehen ihnen einige Verbraucher möglicherweise skeptisch gegenüber. Eine größere Transparenz, Aufklärung und klare Kommunikation über ihre Sicherheit und ihren Nährwert könnten jedoch dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen und die Akzeptanz zu fördern.
Mit kontinuierlicher Innovation und Förderung ist die Fermentation auf dem besten Weg, zu einem Eckpfeiler der alternativen Proteinindustrie zu werden, die Lücke zwischen Nachhaltigkeit und Geschmack zu schließen und die Zukunft der Lebensmittel neu zu definieren.
Quellen
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