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Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein
Die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln ist in vielen Industrieländern ein relevantes Nachfragekriterium. Laut einer Innova Trend Umfrage1 aus dem Jahr 2024 sieht sich in Deutschland jeder vierte Verbraucher als "Fleischreduzierer" oder Flexitarier. Diese Tendenz bezeichnen Marktforscher als "Climate Adaption". Umwelt- und verantwortungsbewusste Konsumenten schränken ihren Fleischkonsum ein, weil sie sich um Umweltauswirkungen, den Klimawandel, das Wohlergehen der Tiere und gesundheitliche Folgen ihrer Ernährungsgewohnheiten sorgen. Mit dem Kauf von Geflügel - anstelle von Rotfleisch sehen sie sich auf der ethisch korrekteren Seite. Tatsächlich wartet die Wertschöpfungskette von Hähnchen und Puten innerhalb der gesamten Fleischproduktion mit dem kleinsten CO2-Fußabdruck auf. Das bestätigte Nicolò Cinotti von der Branchenvereinigung International Poultry Council (IPC) beim International Poultry Day im Rahmen der Messe EuroTier 2024 in Hannover. Er hält eine weitere Senkung der Treibhausgasemissionen bei entsprechender Fütterung für durchaus denkbar. Peter Wesjohann, Vorstandsvorsitzender der in Visbek ansässigen PHW-Gruppe und damit des größten deutschen Unternehmens der Geflügelwirtschaft, stimmte Cinottis Aussage beim Deutschen Geflügel Forum im April 2025 in Berlin uneingeschränkt zu: "Etwa 1,5 Kilogramm Futter für die Erzeugung von 1 Kilogramm Geflügel ist im Vergleich zu Rind- und Schweinefleisch unschlagbar gut." Circa 70 Prozent der CO2-Belastung stamme aus den Rohstoffen des Futters, weswegen Geflügelfleisch eine gute Ökobilanz vorweise. „Ein steigender Geflügelfleischverbrauch bei sinkendem Fleischverbrauch ist auch gut fürs Klima“, fasste Wesjohann zusammen.
Technologische Herausforderungen in der Geflügelfleischverarbeitung
Integrierte Lösungen

Marketingmanager Roy Driessen von JBT Marel, einem der führenden Anbieter von Geflügelverarbeitungssystemen mit Stammsitz in Reykjavik, erklärt, dass sich seine Branche durch weitgehend integrierte Lösungen auszeichnet, gesteuert von intelligenter Software. „Bei der Rotfleischgewinnung hingegen wird oft noch mit einzelnen, unabhängigen Maschinen gearbeitet“, fügt Driessen hinzu. Die von JBT Marel konzipierten Anlagen sind miteinander vernetzt, tauschen Daten aus und können sogar aus dem Kontrollraum oder über ein Tablet fernbedient werden. Künstliche Intelligenz hat ebenfalls Einzug gehalten, zum Beispiel bei der automatischen Anpassung von Maschineneinstellungen, basierend auf gesammelten Daten. Durch eine solche vollständige Integration lässt sich eine lückenlose Rückverfolgbarkeit sicherstellen – vom Endprodukt bis hin zum einzelnen Hähnchen beim Mäster. Die Rotfleischverarbeitung habe dieses Stadium der Integration bisher noch nicht erreicht, weiß Driessen.
Höhere Geschwindigkeit und Automatisierung
Als weiteren Unterschied nennt er den höheren Automatisierungsgrad und die höhere Geschwindigkeit der Linien. Dadurch fallen weniger manuelle Arbeiten am Band an – ausgenommen das Einhängen der Hähnchen am Anfang der Linie. Stattdessen entstehen qualifiziertere Jobs als Linienmanager oder Maschinenbediener. Driessen: „Prozesse wie Betäubung, Rupfen, Bratfertigung, Kühlung, Zerlegung, Filetierung und Verpackung in Reihe lassen sich fast komplett vollautomatisiert und ohne Manpower durchführen.“ Personal kommt lediglich für Einstellungen, Kontrolle und Inspektion der laufenden Linie sowie Wartung, Instandhaltung und Service zum Einsatz.
Im Rotfleischbereich sind dagegen noch viele, körperlich anspruchsvolle Zerlegetätigkeiten gefordert. Die um ein Vielfaches höhere Verarbeitungskapazität in Geflügelschlachtung und -verarbeitung bildet ein weiteres Unterscheidungskriterium zu Schwein und Rind: Mit den Systemen von Marel lassen sich stündlich circa 15.000 Hähnchen verarbeiten; bei männlichen Puten sind es 3.000, bei weiblichen wegen deren geringeren Gewichts 3.600 und bei Enten 6.000.
Anpassung an die Struktur des Fleisches
Während bei Rind- und Schweinefleisch meist eine effiziente Zerlegung mit robusteren Verfahren im Vordergrund steht, stimmen Hersteller wie Günther Maschinenbau GmbH ihre Lösungen auf die besonders zarte Struktur von Hähnchen- und Putenfleisch ab. "Wir setzen vorrangig auf die schonende Behandlung des Fleischs bei gleichzeitig hoher Wertschöpfung", erklärt Günther-Vertriebsleiter Dirk Deuschle. Das in Eppertshausen ansässige Unternehmen hält in seinem Portfolio Injektions-, Tumbel-, Massage- und Marinier-Technologien vor.
Bei der Injektion werden Aromen von Marinade oder Gewürzen direkt ins Fleisch eingebracht und gleichmäßig verteilt. Die präzise Steuerung der Injektionsparameter gewährleistet eine schonende Behandlung des Fleischs, ohne dass das Gewebe beschädigt wird. Beim Tumbeln wird das Fleisch in einer rotierenden Trommel bewegt. Der mechanische Prozess sorgt dafür, dass die Muskelfasern sanft gelockert, das Fleisch gleichmäßig durchfeuchtet und seine Proteinfunktion aktiviert wird. Die gleichzeitige Massage des Fleischs verstärkt diesen Effekt, indem sie die Textur verbessert und die Bindung von Marinaden fördert. Das Marinieren selbst optimiert Geschmack, Saftigkeit und Zartheit. Die Kombination aus Injektion, Tumbeln und Massage ermöglicht es, die Marinade tief ins Fleisch einzuarbeiten, was zu einem intensiveren Geschmackserlebnis führt. Das naturgemäß weniger stark ausgeprägte Fleischaroma von Hähnchen und Puten lässt eine markantere und vielfältigere Würzung zu.
Besonderheiten bei der Herstellung von Geflügel-Fleischwaren
Geflügel weist einen relativ geringen Anteil an intramuskulärem Bindegewebe und Fett auf. Weil aber beispielsweise eine Brühwurst einen Mindest-Fettanteil benötigt, damit sie schmeckt und den nötigen „Biss“ bekommt, nehmen Geflügelwursthersteller oft Fett in Form von Geflügelhaut mit dem darunter liegenden Unterhautfettgewebe in ihre Rezepturen auf. Bei Rohwürsten aus Geflügelfleisch kommen häufig gehärtete Pflanzenfette oder Pflanzenöle zum Einsatz. Sie verbessern bereits in geringen Mengen im unteren einstelligen Prozentbereich die Streichfähigkeit einer Teewurst. Dient das Pflanzenfett hingegen als Ersatz für tierisches Fett, so muss es gemäß der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse2 mit seiner eigenen Bezeichnung (etwa Rapsöl, Sonnenblumenöl, Palmfett o. ä.) in der Bezeichnung des Lebensmittel genannt werden. Daher finden Verbraucher heute oft Produkte wie "Geflügelfleischwurst mit Rapsöl" im Regal vor. Des Weiteren schreiben die Leitsätze vor, dass Geflügelfleischerzeugnisse entsprechend deklariert werden müssen, wenn in ihren Rezepturen das Fleisch anderer Tierarten mitverwendet wurde – etwa als "Puten-Leberwurst mit 20 Prozent Schweinefleisch".
Ein entscheidendes Qualitätskriterium bei rohem Fleisch ist die Farbe. Sie beeinflusst die Kaufentscheidung des Verbrauchers, der eine kräftige Rotfärbung mit einer guten Fleischqualität assoziiert. Gerade bei Geflügel reicht Myoglobin mit 30 bis 150 mg/100 Gramm als fleischeigener Farbstoff oft nicht aus, um die gewünschte Farbintensität zu erreichen. Zum Vergleich: Beim Rind liegt der Myoglobingehalt zwischen 250 und 350 mg Myoglobin/100 Gramm Fleisch, beim Schwein zwischen 130 und 180 mg. Hersteller wie Avo-Werke August Beisse in Belm oder Nova Taste Germany GmbH aus Freilassing stellen deshalb Hilfs- und Farbstoffe zur Verfügung. Bei der Herstellung umgeröteter Brühwursterzeugnisse wie Wiener Würstchen, Bockwurst, Leberkäse sorgt beispielsweise Zitronensäure für einen optimalen pH-Wert zur Farbstabilisierung. Ascorbinsäure dient als wirksamer Hilfsstoff. Der umgangssprachlich als Vitamin C bekannte Zusatzstoff beschleunigt und verstärkt den Zerfall von Nitrit zu Stickoxid und unterstützt somit die Umrötung.
Quellen
2 Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH): Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse