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„Enkelfähigkeit“ ist ein gutes Synonym dafür, wenn Firmen ihre Zukunftsfähigkeit auf den Prüfstand stellen. Quartalsberichte erfassen nur ein Vierteljahr – damit ein Unternehmen aber auch noch in 50 Jahren erfolgreich ist, wenn die Enkel übernehmen, dafür braucht es einen langen Atem. Der kann gern auch mal über 333 Jahre reichen.
Es lässt sich nicht ganz genau ergründen, aber die Angabe der „Lebensmittelpraxis“, es handle sich bei der heutigen PONNATH family group um „das älteste Familienunternehmen im Fleischhandwerk“, scheint auf eine Firma zuzutreffen, die seit Jahrhunderten im Geschäft ist – im Fleischgewerbe, in dem die Konkurrenz um diesen Titel sehr groß ist.
Durch die Jahrhunderte

Es war einmal im Jahr 1712: Ein mit der Feder geschriebener Trauungseintrag von damals ist die einzige Quelle, die besagt, dass schon der Vater des Bräutigams Metzger war. 1692 gründet Johann Adam Ponader, offenbar auf dem Wissen seines Vaters aufbauend, im bayerischen Kemnath seinen ersten Betrieb, den später seine Söhne Johann und Georg übernehmen. Der Name Ponader wandelt sich zu Ponather bzw. Ponath (Anton Ponath), bis er 1840 mit Josef, Hans und Max zum heutigen Ponnath wird. 333 Jahre und elf (!) Generationen später ist die PONNATH family group ein bedeutender Lebensmittelhersteller, mit Premiumprodukten im Bereich Wurst, Schinken, Convenience und im veganen Bereich. 333 Jahre!
Auf Max Ponnath I., der im Ersten Weltkrieg auf der Krim fällt, folgt der 1937 geborene Max Ponnath II., der in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine Ära rasanten Wachstums einleitet. Nach dem 300-Jahre-Jubiläum 1992 tritt Michael Ponnath die Nachfolge an, der mit Übernahmen, Internationalisierung, neuen Standorten, dem Einstieg in Bio, Convenience und Finger-Food, den Übernahmen von „Vegan Empire“ und „Rodag Food“ sowie der eigenen Herstellung veganer Produkte („VANTASTIC“) die PONNATH family group in die Zukunft führt.
Auf der Website des Unternehmens wird eine Dimension der „Enkelfähigkeit“ mit einem Zitat des französischen Historikers und Reformsozialisten Jean Jaurès (1859-1914) beschrieben: „Tradition ist nicht das Bewahren der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“
Tradition und Nachhaltigkeit scheinen bei Ponnath eng zusammenzugehören, wenn das Engagement für „Umwelt und Klimaschutz“ einfach mit „Weil wir unsere Heimat lieben“ begründet wird und das Tierwohl mit dem Verweis darauf, dass es auch „unser Wohl“ sei.
Erneuerung von Generation zu Generation

„Wir blicken auf eine 333 Jahre lange Tradition im Fleischerhandwerk zurück, auf die wir stolz sind“, sagt Michael Ponnath im Interview mit der „LP. Lebensmittelpraxis“. „Ich fühle mich gut, weil mit meinem Sohn Max die nächste Generation die Nachfolge antreten wird, er aktiv in den Betrieb eingestiegen ist und sich einarbeitet.“
Max Ponnath – der III., aber er nennt sich nicht so – hat in St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Neben den Themen Personal und Fachkräftemangel steht aktuell die strategische Ausrichtung bezüglich der veganen Produktpalette auf seiner Agenda: „Die Umstellung auf vegane Produkte erweitert unsere Zielgruppe. Vegan ist ein Begriff, den die meisten Verbraucher sofort verstehen, ähnlich wie Bio. Im Gegensatz dazu sind die Unterschiede bei den Haltungsformen im Wurstbereich oft weniger bekannt. Aber bei vegan wissen die Leute genau, was sie erwartet und welches Versprechen das jeweilige Produkt bietet.“
In der klassischen Übergabe eines Betriebs der Eltern an ihre Kinder, steckt schon aufgrund der natürlichen Differenzierung der Generationen viel Erneuerungspotenzial – frei nach dem Motto: Der Senior hat die Maschinen hingestellt, der Junior vernetzt sie. In der mittelständischen, oft von Eigentümerfamilien geprägten Kultur stecken jede Menge „langer Atem“ sowie viel Anpassungsfähigkeit und Innovationspotenzial. Nicht zufällig sind die KMU, die kleinen und mittelständischen Unternehmen, in Deutschland eine angesehene Kategorie, die viele „Hidden Champions“ hervorbringt: Mittelständler, die oft nicht so bekannt sind, aber auf ihren Feldern Marktführer und international erfolgreich sind.
Licht und Schatten bei den Familienunternehmen
Rund 60 Prozent aller Beschäftigten sind in Deutschland in Familienunternehmen tätig, die mit ihrer Region fest verbunden sind. Nach einer Allensbach-Studie im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen von 2024 stehen diese in erster Linie für eine lange Tradition, die Sicherheit von Arbeitsplätzen und langfristiges Denken – alles Dimensionen, deren Bedeutung in den letzten fünf Jahren zugenommen hat. 86 Prozent der befragten 18- bis 29-Jährigen sehen Familienunternehmen demnach als Wunscharbeitgeber, dies zeigt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC von 2023.
Kritisch sehen die Befragten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nach den PwC-Daten im Vergleich zu Konzernen. In der allgemeinen Wahrnehmung werden an den Familienunternehmen die Potenziale bezogen auf Internationalisierung, Krisenresilienz und Innovationskraft tendenziell unterschätzt. Und ein wachsender Teil der jungen Bewerber möchte erste Erfahrungen lieber bei Start-ups sammeln.
„Beliebt zu sein, reicht nicht. Familienunternehmen müssen klarer kommunizieren und die Lücke zwischen Fakten und Fremdwahrnehmung schließen – denn sie haben sehr viel mehr zu bieten, als die Bevölkerung glaubt“, sagt Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei PwC Deutschland.
Kritische Anmerkungen kommen auch von der Nachhaltigkeitsexpertin Dr. Beate Gebhardt. Der These, die generationenübergreifenden Planungshorizonte der Familienunternehmen führten zwangsläufig zu einer nachhaltigeren Unternehmensführung, widerspricht sie:
„Nein, diesen Zusammenhang gibt es nicht zwingend, zumindest nicht in dem Sinne, dass ‚enkelfähig‘ nachhaltig meint. In Deutschland gibt es auch Familienunternehmen, die aufgeben oder aufgrund ihrer wenig nachhaltigen Unternehmenstätigkeit in der Kritik stehen und mit einem Negativpreis ausgezeichnet wurden.“ Das vollständige Interview mit Beate Gebhardt zu Fragen der „Enkelfähigkeit“ lesen Sie hier.
Nachfolge bei Handtmann

Die in der verarbeitenden Industrie weltweit erfolgreiche Handtmann Unternehmensgruppe ist als Gründung des Glockengießers und Mechanikermeisters Christoph Albert Handtmann (1845-1918) heute bereits in der fünften Generation tätig, mit der vor zwei Jahren durch Thomas Handtmann erfolgten Übergabe an seinen Sohn Markus Handtmann und dessen Cousin Valentin Ulrich. Die innovative Kraft der Generationenfolge wirkt sich bei Handtmann nicht auf die stetige Erneuerung aus, sondern hat zu regelrechten Technologiesprüngen in mittlerweile sechs Geschäftsbereichen geführt – von der einfachsten, von Hand gegossenen Armatur zu komplexesten datengetriebenen Prozesslösungen.
1873 in Biberach gegründet, von einer „Familie, die über die Jahrhunderte hinweg in der lokalen Wirtschaft und Gesellschaft verwurzelt blieb“, wie es in der Firmenchronik heißt – ohne sich davon abhalten zu lassen, international zu expandieren. Die Gründung des zweiten Geschäftsbereichs erfolgte demnach übrigens, weil Arthur Handtmann 1954 gefragt wurde, ob er eine handbetriebene Wurstfüll- und Portioniermaschine bauen könne.
Die negative Prognose, Familienunternehmen mit ihrer lokalen Verwurzelung täten sich mit internationalen Erfolgen schwer, wird durch Handtmann eindeutig widerlegt: Heute ist das Technologieunternehmen in 100 Ländern weltweit aktiv, mit Leichtmetallguss und Systemtechnik in der Automobilzulieferindustrie, Kunststoff- und Anlagentechnik sowie E-Solutions. Bei den Lebensmitteln und hier insbesondere bei Fleischwaren sind sie führende Experten für Food-Processing und bringen in einem globalen Innovationsnetzwerk die Transformation der Lebensmittelverarbeitung voran.

Die Übergabe an seinen Sohn und Neffen in 2023 betrachtet Thomas Handtmann als „Notwendigkeit vor dem Hintergrund der Endlichkeit des Lebens“ und spielt darauf an, dass man „irgendwann den Willen haben muss, sich zurückzuziehen, bevor das nähere Umfeld zur Kenntnis nimmt, dass man den Absprung nicht geschafft hat“. Seitdem leiten Markus Handtmann und Valentin Ulrich gemeinsam als CO-CEOs die Unternehmensgruppe. Mit welchen Plänen und Ideen will die fünfte Generation das Unternehmen prägen? „Entscheidend für die Zukunft von Handtmann sind Themen wie Internationalisierung, Innovationen, Digitalisierung und Offenheit für neue Arbeitsweisen. In diese und weitere Bereiche werden wir investieren, um nachhaltigen Wert für unsere Kunden, unsere Mitarbeitenden, die Gesellschaft und unsere Unternehmensgruppe zu schaffen“, wird Valentin Ulrich zitiert.
Nicht jeder hat das große Nachfolgeglück
Nachfolgelösungen in dieser Qualität sind auch bei Familienunternehmen nicht selbstverständlich, aber durch die Fülle an Erfahrungen haben sich bei ihnen Strategien herausgebildet, um „Enkelunfähigkeit“ zu vermeiden, etwa den einmal im Konsens der Familie gefundenen internen Kandidaten nicht anders zu behandeln als einen externen Bewerber.
Ganz anders sieht es bei den Unternehmen aus, die an ihrer „Enkelfähigkeit“ nur mithilfe externer Nachbesetzung arbeiten können, weil es keinen familieninternen Bewerber gibt oder ihm die nötigen Voraussetzungen fehlen – und das sind eine ganze Menge. Nach einer Meldung des KfW-Nachfolgemonitors (2024) planen bis Ende 2027 rund 626.000 Unternehmen in Deutschland die Übergabe ihrer Geschäftsführung. „Gleichzeitig sehen sich über 250.000 Betriebe mit der Möglichkeit einer Schließung konfrontiert“, heißt es in der Meldung, „häufig, weil passende Nachfolgerinnen oder Nachfolger fehlen.“
Neben den bekannten Wegen, Mitarbeitende im eigenen Unternehmen anzusprechen, ein Management-Buy-out anzustreben, der Vermittlung durch Fachverbände, Personalvermittlungsunternehmen oder Anzeigen in Wirtschafts- und Fachzeitschriften, gibt es den Ansatz, den die nexxt-change-Unternehmensbörse verfolgt.
Viele Existenzgründer bevorzugen anstelle einer Neugründung den Einstieg als Nachfolger in ein bestehendes Unternehmen. Die Börse koordiniert Angebot und Nachfrage; die Kammern veröffentlichen Vermittlungswünsche unter Chiffre und beraten bei der Formulierung der Suche. Dieser Service ist unentgeltlich. An diesem Vermittlungsdienst sind sämtliche Kammern im ganzen Bundesgebiet beteiligt.
Es gibt viele Wege für Unternehmen, um Zukunftsfähigkeit zu erreichen – für die Enkel in unserer Gesellschaft; es müssen ja nicht die eigenen Nachgeborenen sein. Entscheiden müssen alle Unternehmen, ob groß oder klein. Gerade in der Fleischwirtschaft gibt es Hunderte als einfache Metzgereien gestartete Firmen, die über die Jahrzehnte kontinuierlich gewachsen sind und – dank „langen Atems“ – erweitert oder diversifiziert haben. Ihre Strategie war dann nachhaltig, das lässt sich im Rückblick sagen, wenn sie wirtschaftliche, ökologische, soziale und technologische Entscheidungen stets in der richtigen Balance gehalten haben. Jetzt können die Enkel übernehmen und die Unternehmen in eine Zukunft führen, in der es nur helfen kann, auf ein gutes Fundament zu bauen. Das Problem ist nur, dass man immer erst im Nachhinein weiß, ob etwas funktioniert hat.
Enkelfähig handeln -
Zukunft gestalten

Die Artikelserie „Zukunft gestalten – Enkelfähig handeln“ dreht sich um weltweite Trends zur zukunftsfähigen Lebensmittel- und Proteinverarbeitung. Ob Metzger, Maschinenbauer, Lebensmittelindustrie… im Zentrum steht ein wertebasiertes, nachhaltiges Wirtschaften über mehrere Generationen hinweg.
Kennen Sie ein spannendes Familienunternehmen, dass in unsere Reihe passt? Dann freuen wir uns über eine kurze Nachricht.